Ich hätte nie gedacht, dass ich in der ersten Woche schon selbst unterrichten würde. Ich habe bei Sir William zweimal den Matheunterricht in zwei 6. Klassen komplett selbst gemacht. In der ersten Stunde bei Sir Williams Unterricht hatte ich zunächst beobachtet und gegen Ende hatte er mich dann gebeten, die Aufgaben der Schüler und Schülerinnen zu korrigieren und ihnen weitere Aufgaben zu geben. In den folgenden beiden Stunden hatte er mir dann komplett den Unterricht überlassen. Aber beide Male war es total spontan. Hier in Ghana habe ich keinen Stundenplan, sondern ich frage die Lehrer und Lehrerinnen immer spontan, ob ich an ihrem Unterricht teilnehmen kann. Da Sir William von meinen Fähigkeiten überzeugt zu sein schien, hat er mich gefragt, ob ich den Unterricht machen könne. Ich war also jedes Mal komplett unvorbereitet und musste dementsprechend sehr viel improvisieren. Als Hilfestellung hatte er mir das Mathebuch gegeben und mir gezeigt, was heute das Thema ist. Die beiden Unterrichtsstunden haben dasselbe Thema behandelt und so war ich beim zweiten Mal nicht mehr ganz so unvorbereitet.
Zunächst habe ich mich an den Aufgaben im Buch orientiert und ähnliche Aufgaben den SuS in Einzelarbeit gegeben. Eine Aufgabe ist beiden Klassen schwer gefallen zu verstehen. In der zweiten Stunde habe ich mich deshalb darum bemüht, die Aufgabe noch klarer und deutlicher zu erklären, und ein Beispiel zu geben. Ich habe die SuS außerdem gefragt, ob sie die Aufgabe verstanden haben, und einen Schüler gebeten die Aufgabenstellung nochmal zu wiederholen. Leider haben auch die Schüler der zweiten Stunde die Aufgabe nicht wirklich besser verstanden.
Viele waren recht schnell fertig, sodass ich ihnen eine weitere Aufgabe ähnlicher Art gegeben habe. Die SuS sind es hier gewöhnt, dass sie der Lehrperson ihre fertig bearbeiteten Aufgaben vorzuzeigen, damit diese(r) sie korrigiert. Deshalb haben sie das auch automatisch auch bei mir gemacht. Mir wurde das allerdings in der ersten Klasse schnell zu viel, weil ich nicht die Hefte von 60 Kindern auf einmal korrigieren konnte. In der zweiten Stunde habe ich dann der Klasse von Anfang an gesagt, dass wir die Aufgaben zusammen besprechen werden und ich nicht möchte, dass sie alle einzeln zu mir kommen. Diese Anweisung haben sie sehr gut verstanden und wir haben die Aufgaben zusammen besprochen. Bei der Besprechung habe ich die SuS außerdem darum gebeten, mir immer eine Begründung für Ihre Lösung zu geben. Das schien sie zunächst zu irritieren – ich denke, dass es daran liegt, dass ihre eigentlichen Lehrer*innen danach nicht fragen.
Da ich aus der ersten Klasse wusste, dass auch der zweiten Klasse die Aufgaben wahrscheinlich sehr leicht fallen würden und die SuS keinerlei Probleme bei der Bearbeitung haben würden, habe ich bei der zweiten Klasse das Thema direkt etwas verkürzter vorgestellt und nach der Bearbeitung der Aufgaben noch die Zahlenmauern (bei mir heißen sie jetzt wonder walls) eingeführt. Diese kannten sie noch nicht, aber haben das Prinzip schnell verstanden. Ich habe sie dann gebeten, alle Lösungen für den Deckstein mit 20 zu finden. Eine solche entdeckende und freiere Aufgabe erschien ihnen zunächst fremd, aber nach abermaligem Erklären haben sie – zwar etwas zögerlich – losgelegt. Auch wenn die Aufgabe an sich zu einfach für die Klassenstufe ist, habe ich sie trotzdem gewählt, weil mir erstens nichts anderes auf die Schnelle eingefallen ist und ich mir zweitens schon gedacht hatte, dass ihnen eine solche entdeckende Aufgabe fremd sein würde. Leider war die Zeit gegen Ende der Stunde zu knapp, um die Muster der Lösungen zu besprechen – eins der Prinzipien habe ich an der Tafel noch erläutert. Für mich persönlich war es aber ganz gut, weil ich aus dem Gedächtnis heraus nicht mehr alle Muster gewusst hätte. Falls ich die Klasse nochmal unterrichten sollte, würde ich dort weiter anknüpfen und mir dafür vorher nochmal meine Materialien zu dem Thema anschauen.
Dass die Stunde didaktisch und pädagogisch nicht perfekt war, ist mir klar. Das ist jedoch vor allem der Tatsache geschuldet, dass ich beide Male keine Chance hatte, mich auf den Unterricht vorzubereiten. Mein größtes Problem war vielmehr das Classroom Management. 60 Kinder zu unterrichten ist etwas anderes, als nur 30, und auch die Verständigung auf Englisch war durch die unterschiedlichen Akzente von mir und den SuS teilweise etwas problematisch. Kein(e) Schüler*in ist mir besonders aufgefallen, weil er/sie gestört hat, sondern es war vielmehr eine allgemeine Unruhe, die ich gerade bei der zweiten Klasse als sehr anstrengend empfunden habe. Ich fühlte mich teilweise überfordert, gerade weil ich wusste, dass andere Lehrpersonen Caning als Mittel einsetzen, um für Ruhe zu sorgen. Da das für mich keine Option war, und mir aber klar war, dass die Schüler*innen daran gewöhnt waren, habe ich mich in meinem methodischen Repertoire etwas eingeschränkt gefühlt. Trotzdem war es für mich eine gute Erfahrung, spontan zu unterrichten und vor allem intuitiv vorzugehen. Hätte ich vorher gewusst, dass ich unterrichten sollte, hätte ich mir wahrscheinlich sehr viele Gedanken gemacht und wäre nervös gewesen.
Es hat mir gefallen, dass die Lehrpersonen lobende Rituale verwenden, die von allen SuS zusammen ausgeführt werden. Wenn ein(e) Schüler*in etwas gut gemacht hat, dann sagt die Lehrkraft “Clap for him/her!“ und alle SuS klatschen einen kurzen Rhythmus zusammen. Das Lob erfolgt also vor allem nonverbal und – was ich besonders gut finde – wird von der ganzen Klasse ausgeführt. Auch wenn es mit Aufforderung geschieht, zeigen die SuS dadurch ihre Anerkennung für die richtige Antwort und die dahinterstehende Anstrengung.
Ein weiteres Ritual wird angewandt, wenn die Antwort eines/einer Schüler*in zwar nicht (ganz) richtig ist, aber die Bemühung gelobt werden soll. Solange die Lehrkraft “shine“ sagt, reiben alle SuS ihre Hände aneinander, und es wird mit einem einzelnen Klatschen abgeschlossen. Die Klasse „scheint“ also auch für einen, selbst wenn man Fehler macht. Es wird damit anerkannt, dass man durch den Fehler etwas gelernt hat.
Beide Rituale sollen mit Bewusstsein und Elan ausgeführt werden und wenn der Lehrkraft die Ausführung zu wenig ist, dann wird es wiederholt bis alle SuS dabei sind. Die Lehrkräfte wenden die Rituale unterschiedlich oft an, aber bis jetzt sind sie in allen Klassen, in denen ich war, vorgekommen.
Mich hat überrascht, wie offen der Sexualunterricht ist. Eine 6. Klasse hatte das Thema “sexuality and adolescence“ und da ich zunächst an meinen eigenen Sexualunterricht zurückgedacht habe, hatte ich angenommen, dass sie darüber sprechen würden, inwiefern sich der Körper in der Pubertät verändert. Doch darum ging es überhaupt nicht. Vielmehr hat Sir Paul einen großen Bogen geschlagen und alle Themen angeschnitten, die mit “adolescence“ zu tun haben. Es ging um „sexual diseases, poverty, streetism, abuse, sexual harrassment und abortion.“ Außerdem hat er den Mädchen zu verstehen gegeben, dass sie lernen müssen, klar und deutlich „Nein!“ zu sagen, und sich nicht von Männern verunsichern zu lassen. Sir Paul hat für mich eindrucksvoll den Kindern erklärt, dass Sex etwas ganz Normales und Natürliches ist und seine Berechtigung im Leben hat. Gleichzeitig hat er betont, dass Sex in diesem Alter noch nicht notwendig ist, sondern die Zeit dafür erst später kommen wird. Während in Deutschland über sicheren Sex gesprochen wird, ging es hier darum, es in diesem Alter überhaupt nicht zu tun – das könnte daran liegen, dass es in Ghana an Verhütungsmitteln mangelt bzw. die strenge Gläubigkeit Verhütung verbietet (letzteres ist aber nur eine Vermutung meinerseits). Das Verlieren der Jungfräulichkeit in diesem Alter wurde als „shame“ bezeichnet. Schade fand ich, dass ich im Laufe der Stunde den Eindruck bekommen habe, dass er überwiegend die Mädchen adressiert hat und teilweise der Anschein erweckt wurde, dass Männer einfach immer Sex haben wollen und diesen Trieb nicht unterdrücken können. Somit liegt dann die ganze Verantwortung bei dem Mädchen. Ich persönlich finde es allerdings wichtig, gerade die Jungen zu Verantwortung zu erziehen und nicht nur die Mädchen zu lehren, auf sich aufzupassen. Trotzdem war ich tief beeindruckt, mit welcher Offenheit, Weitsicht aber auch Dringlichkeit Sir Paul dieses sensible Thema erläutert hat.
Zuvor habe ich gedacht, dass ich Probleme bei der Eingewöhnung haben würde und jetzt stelle ich fest, dass ich mich schon nach einer Woche sehr wohl fühle. Da ich für einen Monat in einem komplett anderen Land lebe, zusammen mit Menschen, die ich vorher nicht kannte, geht es bei mir nicht nur um das Praktikum, sondern um viel mehr. Und da bin ich sehr froh, sagen zu können, dass ich mich sowohl mit meinen deutschen Mitbewohner*innen als auch mit meinen Kolleg*innen sehr gut verstehe. An meiner Schule fühle ich mich gut aufgehoben. Alle sind sehr freundlich und offen und gerade die Kinder sind total fröhlich, aufgeschlossen und neugierig. Auch wenn hier sehr vieles sehr anders ist und die Tage anstrengend sind, so fühle ich mich doch geborgen und sicher und freue mich, diese Erfahrung machen zu dürfen.