Ich weiß nicht Das sage ich zu dir – immer und immer wieder – Auf deine Frage, ob ich das will. Manchmal sage ich auch Nein Aber dieses Nein verstehst du nicht Oder du willst es nicht verstehen Ich weiß wirklich nicht, ob ich das will Bin verunsichert Von dir Von mir Von der ganzen Situation. Ich will cool sein Will auch Erfahrungen machen Will auch was zu erzählen haben Aber ich bin auch unsicher. Wo sind meine Alarmglocken? Sollten die nicht grad ganz laut schrillen?! Aber da ist nichts in mir Was laut Stop ruft Mein Kopf nicht Mein Herz nicht Mein Körper nicht. Aber: Mein Kopf schreit auch nicht Ja Mein Herz schreit auch nicht Ja Mein Körper schreit auch nicht Ja Ich bin unsicher Verunsichert Von dir Von mir Von der ganzen Situation. Ich hab sowas noch nie vorher gemacht Du schon Du sagst und zeigst mir wie es geht Du fühlst dich toll dabei, dass du mir alles zeigen kannst. Will ich, dass du es mir zeigst? Ich weiß nicht Du fragst mich immer wieder, ob ich das will Doch meine Antwort ist nie Ja Sie lautet Ich weiß nicht. Du sagst, du kannst in mir lesen, wie in einem Buch Aber hast du schon mal daran gedacht, dass man in einem Buch auch zwischen den Zeilen liest? Dass sich manchmal nur dort die Wahrheit verbirgt? Ich weiß nicht, steht es groß und fett in meinem Buch geschrieben. Doch wenn du zwischen meinen Zeilen gelesen hättest, dann hättest du meine Unsicherheit gesehen, dann hättest du verstanden, dass ich die Wahrheit sage: Dass ich es nicht weiß Dann hättest du mich nicht gedrängt, etwas zu tun, von dem ich grad selbst noch nicht weiß, dass ich es nicht tun will, nicht tun sollte dann hättest du gemerkt, dass du mich mit deinem ganzen Reden verunsicherst dann hättest du meine Körpersprache verstanden, die dir schon längst verraten hat, dass sie dich (!) NICHT will. Aber das wolltest du alles nicht sehen, nicht in mir lesen, du hast in mir noch nicht mal wortwörtlich gelesen, sondern du hast das in mir gelesen, was du lesen wolltest. Du hast in mich das hineininterpretiert, was für dich (!) am besten war, nicht für mich. Du wolltest Anerkennung, Nähe, Intimität, Sex, vielleicht auch Geborgenheit, Liebe du hast dir genommen, was du wolltest was du brauchtest bis ich Stop gesagt habe für mich zu spät für dich zu früh. Wir haben beide nicht das bekommen, was wir wollten, was wir brauchten. Und ich? Ich schäme mich dafür, dass ich DIR nicht das geben konnte, was du wolltest, was du brauchtest – Sex Ich schäme mich dafür, dass ich MIR nicht das geben konnte, was ich wollte, was ich brauchte – Klarheit und Mut Ich hab mich selbst nicht verstanden – damals – Ich war verwirrt. Mein Verstand versuchte eine Logik in mein Verhalten reinzubringen, versuchte zu verstehen, was schiefgelaufen war versuchte, mir einzureden, dass es doch gar nicht so schlimm war, dass ich ja letztendlich eine Grenze gezogen habe, dass ich daraus was gelernt habe, dass es einfach nur eine Erfahrung war. Währenddessen wechselte mein Herz die Bettwäsche von dem Bett, in dem du mit mir gelegen hast, verbannte das T-shirt, das du so toll an mir fandst in die hinterste Ecke meines Kleiderschranks, aber fühlte sich dabei irgendwie stumm, verloren, emotionslos, orientierungslos. Der Verstand hat Recht – mein Herz hat was gelernt: dass es vorsichtig sein muss noch vorsichtiger als vorher dass es sich erst öffnen darf, wenn es sich sicher ist, ganz sicher dass der beste Kumpel vom Herz – der Körper – mehr weiß, als der Verstand dass es Grenzen ziehen muss, echte Grenzen, Grenzen, die verbal und nonverbal verteidigt werden müssen. Aber auch der Verstand hat was gelernt: dass er verdammt nochmal die Klappe halten muss, wenn es ums Herz geht dass er auf die Bauchgefühle, wie diffus auch immer sie sein mögen, hören muss Dass solche Situationen nicht klein gemacht, verharmlost, heruntergespielt werden dürfen. Solche Situationen verletzen die Seele – meine Seele – und machen sie und damit mich unempfänglicher für echte Verbindungen, die Menschen mit mir aufbauen wollen. Solche Erfahrungen erweitern den Horizont nicht, sie beschränken ihn. Sie sorgen dafür, dass der nächste Schritt aus der Komfortzone nicht mit Freude, sondern mit Angst getan wird. Oder gar nicht getan wird. Erst später haben mein Verstand und mein Herz noch etwas anderes verstanden: Du hast mich nicht so behandelt, weil du ein böser Mensch warst, sondern weil du selbst verletzt warst und verzweifelt versucht hast, deinen Schmerz erträglicher zu machen. Dass du letztendlich – genau wie ich – Liebe willst, brauchst. Das entschuldigt dein Verhalten nicht, aber erklärt es. Es hilft mir, zu verstehen, warum du so warst, wie du warst. Geschrieben Oktober 2022 – mehr als ein Jahr nach dem Vorfall
Heute – 11.10.2023:
Noch ein Jahr nach dem Schreiben dieses Gedichtes, nehme ich es mir nochmal vor und weine ein paar Tränen, als ich meine eigenen Zeilen lese. Ich hatte vergessen, wie viel Emotion und Verletzung darin steckt…
Ich habe dieses Gedicht nochmal hervorgeholt, weil mir etwas aufgefallen ist an meinem Verhalten damals bei dem Vorfall bzw. danach. Ich schreibe, dass ich mich emotionslos und irgendwie stumm gefühlt habe.
Ich habe nun erkannt, woran das liegt: Ich hatte überhaupt keinen Zugang zu meinen Emotionen, ich war dissoziiert von ihnen – in der Situation und auch danach. Nur die Emotionslosigkeit hat mir gezeigt, dass da irgendwas nicht so ganz in Ordnung ist. Aber die Wut, die ich hätte spüren müssen, weil ganz klar eine Grenze überschritten wurde, habe ich nicht gespürt. Meine beste Freundin hat das für mich übernommen und mir klar gemacht, dass das, was passiert ist, nicht okay war…
Dass ich keinen Zugang zu meinen Gefühlen hatte, habe ich wahrscheinlich schon in meiner Kindheit gelernt, es hatte wohl einen Vorteil für mich... Außerdem habe ich gelernt hyper vigiliant, also überaus wachsam und aufmerksam, zu sein gegenüber Gefühlen, Worten, Mimik und Gestik von anderen Menschen. Auch das hatte für mich früher einen Vorteil.
Anstatt also in dieser Situation auf mich und meine Grenzen aufzupassen, habe ich mich vollkommen auf ihn fokussiert und ihm versucht, – bis zu einem gewissen Grad – alles recht zu machen. Diese Coping Strategie wird Fawn Response genannt und dabei schaltet man quasi in den People Pleasing Modus. Fight und Flight Response waren für mich keine Option, weshalb ich durch die Fawn Response versucht habe, dieser stressigen Situation zu entkommen. Das hat natürlich dazu geführt, dass ich überhaupt nicht mehr auf mich geachtet habe, bzw. die kleinen Signale, die mein Körper mir gesendet hat, nicht verstanden habe, weil ich ja schon so dissoziiert von meinen eigenen Gefühlen war.
Wenn ich so drüber nachdenke, war ich auch in der Freeze Response, da ich einfach nichts, wirklich nichts, gemacht habe. Ich war absolut passiv, habe keinerlei Initiative für irgendwas ergriffen und habe nur etwas gemacht, wenn er mich darum (mehrfach) gebeten hat.
Fight, Flight, Freeze und Fawn Responses werden in Konfliktsituationen oder stressigen Situationen angewandt, um diese zu bewältigen (coping). Jeder Mensch verwendet mal die eine mal die andere Strategie, hat aber allermeistens eine Tendenz zu der ein oder anderen. Manche gehen immer sofort auf Angriff, also Fight, andere Fliehen, immer sofort, wenn es zu solchen Situationen kommt, also Flight…
Wer sich jetzt fragen sollte, warum ich etwas so privates öffentlich poste:
Erstens, ist dieser Vorfall schon lange her, also nicht mehr akut, und ich habe damit abgeschlossen. Ob mein Unterbewusstsein da noch was für mich bereithält hält, weiß ich nicht…
Zweitens – und das ist viel wichtiger – wird über solche Vorfälle und was in den einzelnen Individuen dabei vorgeht – egal ob Täter oder Opfer – zu wenig gesprochen. Es ist so wichtig, über diese ganzen gefühlten und nicht gefühlten Emotionen, die kleinen und großen Gedanken zu sprechen, denn oft fühlt man sich allein und hilflos mit sowas, dabei gibt es so so viele Menschen da draußen, die ähnliches auch erlebt haben und erleben.
Nur wenn wir dafür ein Bewusstsein schaffen, und das tue ich hiermit, indem ich zweieinhalb Jahre nach diesem Vorfall darüber reflektiere, können wir uns selbst besser verstehen und auf uns selbst und unsere Mitmenschen achten. Nur dadurch können wir lernen, was gesund ist.
Und ich schreibe bewusst „gesund“ und nicht „normal“. Denn nur weil etwas normal für einen ist, ist es noch lange nicht gesund.
Für mich war es normal, dass ich nichts oder nicht so viel gefühlt habe. Für mich war es normal, dass ich nie jemanden vermisst habe. Für mich war es normal, dass ich nie wusste, wie ich mich verhalten soll, wenn jemand neben mir geweint hat. Das alles war normal, aber nicht gut, nicht gesund. Dieses Feld der mentalen Gesundheit ist unglaublich groß, größer als wir es uns vorstellen können und ich glaube, es ist noch viel viel wichtiger als wir es momentan erahnen können.
Im Laufe der letzten Jahre habe ich viel dafür getan, mein „Normal“ zu durchschauen, um gesünder zu leben. Und ich möchte jeden dazu einladen, das auch für sich zu tun. Denn das Leben wird dadurch schöner, intensiver, entspannter, sanfter und noch so vieles mehr. <3
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