Drei neue Wörter, wie ich Ghana und seine Menschen beschreiben würde: fröhlich, ehrgeizig, verantwortungsbewusst
Heute hatten wir ein volles Programm – und trotzdem habe wir auch viel Zeit mit Warten verbracht. „The Ghanaian Concept of Time“ ist einfach ein anderes in Deutschland – entspannter, weniger streng. Die Uhren ticken hier anders und so ist es eigentlich immer so, dass die besprochene Zeit um mindestens 10 min. bis hin zu einer Stunde nach hinten verschoben wird. Niemanden stört das hier – und mich tatsächlich auch nicht. Wenn da alle entspannt sind, dann bin ich es auch.
So haben wir erstmal gefrühstückt (ca. zwei Stunden) und dann bestimmt eine halbe bis dreiviertel Stunde auf Professor Dampson gewartet, bis dieser die offizielle Begrüßung eröffnet hat. Uns wurden dabei weitere Projekte der University of Education of Winneba vorgestellt und er hat uns das Schulsystem sowie die Lehrerausbildung in Ghana erklärt. Der wichtigste Punkt für uns kam natürlich ganz am Ende: die Schuleinteilung von uns Studierenden/Praktikanten.
Für die nächsten dreieinhalb Wochen werde ich an der UNIPRA North Campus mein Praktikum absolvieren. Das ist eine Schule mit Kindergarten (3-6 Jahre) und Grundschule (6-12 Jahre). Ob die Schule auch weiter bis zur Klasse 9 (15 Jahre) geht, ist mir noch nicht ganz klar. Die Schule ist fußläufig von unserem Hostel zu erreichen, was wirklich sehr praktisch ist und ich bin dort zusammen mit drei Kommilitoninnen vom TTT Projekt. Überraschenderweise haben wir alle den Schulen dann heute schon einen Besuch abgestattet, was uns schon mal eine erste Orientierung für die nächsten Wochen gegeben hat.
Also erstmal: Die Kinder sind unfassbar süß, unglaublich fröhlich und waren natürlich total aufgeregt, da auf einmal vier Ausländerinnen vor sich stehen zu haben. Häufig haben wir das Wort „Oboni“ zu hören bekommen, was soviel wie „weißer Mann“ bedeutet. Die Schule beherbergt sehr viele Kinder und es war dementsprechend wuselig. Die Klassen sind groß – mit entspannten 25 Kindern kann man hier auf jeden Fall nicht rechnen – eher mal so mit 40. Aber das werde ich die nächsten Tage noch genauer in Erfahrung bringen. Heute war zudem ein besonderer Tag, denn es war der internationale Tag der Mathematik und deshalb fand für die Schüler und Schülerinnen (SuS) der 4. bis 6. Klassen ein Mathematik-Wettbewerb statt. Draußen unter einem großen Dach saßen dann mal eben dicht gedrängt 100 bis 200 SuS. Ich denke die Lautstärke kann man sich ganz gut vorstellen. Mehrere Lehrkräfte waren permanent damit beschäftigt die Kinder für Ruhe zu sorgen – Hilfsmittel dafür waren die eigene sehr laute Stimme (ich könnte es auch Schreien nennen…), eine Glocke und ein Rohrstock. Letzterer wird sowohl zur Androhung als auch zur wirklichen Ausführung von körperlichen Strafen genutzt. Ich denke, ich muss nicht groß erwähnen, dass ich von dieser Methode kein Fan bin und ich inständig hoffe, dass die Kinder nicht direkt vor meinen Augen bestraft werden. Heute war das zum Glück noch nicht der Fall, aber fast jeder Lehrer läuft mit so einem Stock rum, es wird also wohl nicht nur Deko sein…
Der Wettbewerb wurde von jeweils drei SuS aus den Klassenstufen durchgeführt und es gab vier Runden mit mehreren Fragen. Es ging um Zahlennamen, Stellenwerte sowie Addition und Subtraktion. Auch wenn viel für Ruhe und Disziplin gesorgt wurde, war die Stimmung trotzdem fröhlich und entspannt. Zwischendurch telefonierte der leitende Lehrer mal eben oder machte einen Witz mit seinen Kollegen. Was mich (aus irgendeinem Grund) erstaunt hat, war seine unglaubliche Fairness. Eigene Fehler, z.B. die eigene Ungenauigkeit der Aufgabenstellung, hat er selbst anerkannt und den Teilnehmern trotz falscher Antwort die halbe Punktzahl gegeben. Bei der Bekanntgabe des Gewinnerteams hat er betont, dass alle Kinder großes geleistet haben und dass auch die Verlierer etwas gewonnen haben, nämlich mehr Wissen. Er hat wirklich sehr schön rübergebracht, dass es nicht nur ums Gewinnen geht, sondern auch ums Teilnehmen, um das Repräsentieren der Klassenstufe und das Lernen durch Fehler. Ich würde gern die nächsten Tage bei ihm mit in die Klassen gehen, denn ich glaube, dass ich von ihm echt was lernen kann. Die anderen Lehrer und Lehrerinnen (LuL) kann ich noch nicht einschätzen – zu uns Studierenden waren sie alle freundlich – aber mir geht es vor allem um deren Umgang mit den SuS und deren didaktisches Know How.
Morgen starten wir um 7:30h. Mehr wissen wir nicht – mal wieder. Der Schulleiterin scheint es ziemlich egal zu sein, was wir an ihrer Schule machen und in welche Klassen wir gehen oder welche Kollegen wir begleiten. Von unseren Mentoren, von denen die Uni gesprochen hatte, haben wir bis jetzt noch nichts gesehen – ich sag nur Ghanaian Style of Doing.
Ich lass jetzt erstmal alles auf mich zukommen und nehme alles, was ich erfahre in mir auf. Der Rest wird schon. Die nächsten Tage will ich erstmal die Kinder und Lehrer kennenlernen und die Schulstrukturen besser verstehen. Beobachten, beobachten, beobachten lautet daher meine Devise. In der nächsten Woche möchte ich dann genauer hinschauen und mir bestimmte Fächer, Klassen oder Lehrer rausgreifen. Es bleibt also weiterhin spannend.
Nach der Schule war ich dann erstmal ziemlich platt – es war dann schon 14:30h als wir endlich gegessen haben. Dann ging‘s in die Stadt zum Markt und mein Buddy Sandra hat sich wie immer rührend und mit extrem viel Geduld um uns gekümmert und geleitet. Das Thema SIM-Karte stand immer noch für einige von uns aus und so haben wir bestimmt zwei Stunden beim Netzbetreiber MTN verbracht bis wir alle unseren Internetzugang hatten. Wie gesagt: die ghanaischen Uhren ticken anders. Dann sind wir noch kurz Obst einkaufen gegangen und haben uns dafür durch verschiedenste kleine Gassen geschlängelt – alleine hätte ich mich da nicht so reingetraut. Der Markt ist für mich als Deutsche eine klare Überforderung. Ich hoffe, dass ich mich dort in den nächsten Wochen besser zurechtfinden oder zumindest wohler fühlen werde. Es ist nicht so, dass ich mich auf der Straße unsicher fühle – die Ghanaer sind wirklich sehr freundlich und hilfsbereit – aber es ist trotzdem nicht das beste Gefühl, völlig plan- und orientierungslos in der Gegend rumzustehen.
Ich falle jetzt erstmal gleich sehr müde in mein Bett und werde versuchen, mir nicht zu viele Gedanken über morgen zu machen – ich kann nicht vermeiden, dass ich großen Respekt und auch ein bisschen Angst vor den nächsten Tagen habe. Aber ich bleibe meinem Motto: One day at a time!