Die Bushaltestelle
Ich stehe an der Bushaltestelle und warte. Ich warte darauf, dass der Bus mich mitnimmt. In Gedanken Warte ich darauf, dass der Winter kommt. Warte ich darauf, dass Entscheidungen gefällt werden. Warte ich darauf, dass ich jemanden finde, der mein Herz beflügelt. Warte ich auf vieles, und gleichzeitig auf nichts. Warten ist blöd. Es ist so passiv. Alles um mich rum ist aktiv, gestaltet, verändert, verschönert oder verschlimmert das Leben, Und ich? Ich warte. Geduld ist eine Tugend sagt man, aber geduldig sein ist schwer, es war noch nie meine Stärke. Ich stehe an der Bushaltestelle und warte. Warten funktioniert nicht ohne Ziel. Ansonsten wüsste ich ja nicht, worauf ich warte. Dann würde ich gar nicht warten. Den Blick in der Zukunft, den Körper in der Gegenwart – Eine innere Zerrissenheit zwischen Stehenbleiben und Weitergehen. In Gedanken Ist die Zukunft schon da, Ohne da zu sein. Was bleibt – und wirklich da ist – ist die Gegenwart. Doch im Jetzt zu sein ist schwer, Die Augen wollen immer das, was sie (noch) nicht haben können. Ich stehe an der Bushaltestelle und warte. Lasse andere an mir vorbeiziehen, vorbeieilen, vorbeihuschen. Ich stehe still und schaue, beobachte, betrachte, Betrachte den Sturm in mir, den Sturm um mich herum. Warten ist wie Meditation, glaube ich. Ich bin der Fels in der Brandung, der Fahnenmast im Sturm. Ruhig, fest, verankert, verwurzelt. Oder zumindest versuche ich es zu sein. Warten bedeutet Vertrauen. Vertrauen darauf, dass alles richtig ist, so, wie es ist, Dass alles zu seiner Zeit kommt, Dass die Zukunft irgendwann zur Gegenwart wird. Doch die Zeit ist nicht immer nett, Sie ist langsam, wenn sie schnell sein soll Und schnell, wenn sie langsam sein soll. Beim Warten Ist sie meine beste und einzige Freundin, Aber auch meine größte Feindin. Ich stehe an der Bushaltestelle und warte. Ich tue nichts, denn das ist Warten: Nichtstun. Nichts passiert mit mir selbst. Alles passiert um mich herum. Nichtstun ist das schwerste Tun auf der Welt. Das einzige Tun, das ich im Nichtstun tun kann, ist mir selbst vertrauen. Mir selbst vertrauen, dass ich unbeschadet durch den eigenen Gedankensturm komme. Mir selbst vertrauen, dass ich verankert genug bin, mich nicht in die Fluten der anderen mitreißen zu lassen. Ich tue das Schwerste auf der Welt: Ich stehe an der Bushaltestelle und warte.
Photo by Vladislav Klapin on Unsplash